Ein Millionenpublikum

 

Wenn SIE grazil, viel Bein zeigend, auf hohen Absätzen, unter den Augen einer selbstgefälligen Jury, wie in Trance über einen Laufsteg wandelte, ein Millionenpublikum vor den Bildschirmen zwischen Popcorn und Cola gelegentlich applaudierte und am Schluss eine Vertragsunterzeichnung in Aussicht stünde, die absicherte, ein Leben abseits allen Ungemachs irgendwo an den Stränden eines karibischen Steuerparadieses zu führen, und wenn dann noch ein smarter Geschwätzmeister, der seinen Lebensunterhalt als gut entlohnter Medienhöfling verdient, um ihre Hand anhalten würde, so dass das Glück auf den Titelseiten der Blätter, die vornehmlich in Wartezimmern zur Ablenkung von der zu erwartenden, schlechten Diagnose ausliegen, perfekt wäre, und wenn sich darüber hinaus geraspeltes Süßholz mit den Träumen vom Candle-Light-Dinner im Sonnenuntergang an eben jenen besagten Stränden wie eine zähe Masse vermengte, dann… ja dann wäre es allerhöchste Eisenbahn, dass jemand vom Sofa aufsteht und ruft: „Schluss jetzt! Was soll dieser Unfug?“ 

 

Nachdem er seinen Fernseher ausgeknipst hat, erlischt auch das Bild in Millionen anderer Wohnzimmer und die Menschen wenden sich wieder sinnvollen Themen zu und benehmen sich wie aufgeklärtes Staatsvolk.

 

Da dies alles aber leider nicht so ist, bleibt SIE gezwungen, ihr eigenes Theaterstück zu inszenieren, in dem zwar ein Millionenpublikum gerne mitspielen, mindestens aber teilhaben oder es hinter zugezogenen Gardinen nachahmen möchte -  jedoch kommt es nicht dazu. Denn es fehlt meistens an Mut, in den eigenen Abgrund zu blicken, auf dessen Boden die spannendsten Drehbücher verstreut liegen. Viel lieber beschäftigt sich ein Millionenpublikum mit Spekulationen, die kein Geld einbringen, dafür aber reichlich mit Gehässigkeiten gespickt sind.

 

Und während SIE die Hauptrolle des kommenden Abends im Kreise ausgesuchter Freunde erneut mit sich selbst besetzt, die Türen zu den Logen geschlossen werden und der Vorhang aufgeht, weint jemand leise in sich hinein, ohne es zu merken.