Amerikanerin müsste man sein – wie meine Freundin. Sie stammt aus Lanley, Virginia: ein Ort, zu dem namenlose Straßen führen, weil dort eine wichtige Behörde ihr Hauptquartier hat. Schon deshalb geht meine Freundin niemals nackt in eine Sauna, sondern immer nur mit einem geschlossenen Badeanzug.

 

Nicht, dass sie prüde oder übertrieben konservativ wäre. Sie sagt nur: „Es ist, als trüge ich die Verantwortung für eine Vision. Ich kann mich nicht entblößen, denn dann wäre das Geheimnis nicht mehr gewahrt. Ihr Europäer seid da anders! Viel liberaler!“

 

Obwohl das Wort „liberal“  heute in weiten Teilen der westlichen Welt, zu der meine Freundin und ich gehören, als Schimpfwort gilt, weil es für Ausbeutung und das Recht des Stärkeren steht, sehe ich es immer noch als Aufruf zur Freiheit des Einzelnen, selbstbestimmt zu leben. Es ist eine Errungenschaft der Moderne, die immer noch in die Zukunft weist. Aus diesem Grunde gehe ich nackt in die Sauna.

 

*

 

Vor einiger Zeit trafen wir uns in einem Hotel für ein Wellness-Wochenende. Meine Freundin saß mit drei fremden Männern in der Sauna. Plötzlich sprang sie unvermittelt auf, kam heraus zu mir und zog ihren Badeanzug aus. „Ich habe Lust, heute etwas Verrücktes zu tun“, sagte sie und nahm sich ein großes Handtuch und ging zurück in die Kabine.

 

Die drei Männer starrten sie ob dieses Sinneswandels fassungslos an, gleichwohl mit einer unterschwelligen Lüsternheit. Einer von ihnen war, dem äußeren Erscheinungsbild nach, ein Orientale. Er musterte sie besonders genau. Meine Freundin indessen erwiderte die Blicke ohne jegliche Scham, wippte mit den Beinen hin und her, so dass sie den Männern auch einen gelegentlichen Blick auf ihr glattrasiertes Zentrum gewährte. Das machte die Männer ein wenig verlegen.  Während die beiden Europäer die Köpfe verschämt abwandten, ertappt wie  bei einem Dumme-Jungen-Streich, hielt der Orientale dem Blick meiner Freundin stand. Männer dieses Kulturkreises schätzen es überhaupt nicht, wenn man sie zu lange anschaut, schon gar nicht, wenn es sich dabei um eine nackte Frau handelt.

 

Und so mischte sich Wut in die Augen des Orientalen, bis sie schließlich vor Ohnmacht glühten. Denn er fühlte sich verletzt in seiner männlichen Ehre. Männer dieses Kulturkreises fühlen sich schnell gekränkt, weshalb sie andererseits dazu neigen, Worte wie Hure oder Schlampe recht inflationär zu benutzen. In diesem Fall half es nichts. Mehr als ein hilflos-aggressives „Was guckst Du?“ wie aus einem jener Rap-Songs, deren Autoren mit einem Gesamtvokabular von 500 Wörtern auskommen müssen, war seinem Gesichtsausdruck nicht zu entnehmen. Gleichzeitig indessen fühlten sich die beiden Europäer wieder ermuntert, meine Freundin in ihrer frechen Schönheit zu betrachten. Sie wollten teilhaben am lustvollen Geschehen, zugleich aber wollten sie auch meine Freundin schützen. Dadurch entstand eine regelrechte Patt-Situation, in der keiner der Männer seinen  Willen umzusetzen vermochte.

 

Meine Freundin war nun sehr erregt. Sie hatte die Männer in der Hand. Diese Macht bebte durch ihren Körper. Sie presste die Oberschenkel kurz zusammen und pinkelte ein kleines Rinnsal in ihr Handtuch. Schweißbäche troffen. Schlucken. Männerhände verrieben die Perlen über Beine und Oberkörper. Durchatmen.

 

Meine Freundin stöhnte kurz auf, als ein weiterer kleiner Bach aus ihr schoss, leckte sich über die Lippen, sprang von der Holzbank auf und verließ die Kabine, jedoch nicht ohne sich vorher nochmals umzusehen und allen dreien ein Augenzwinkern zu hinterlassen.

 

Draußen sagte sie zu mir: „Sie wollten über mich herfallen! Mich zerfleischen! Du hättest sie sehen sollen, diese geilen Hunde! Langsam verstehe ich die Grausamkeit der Kriege im Mittleren Osten und warum bei euch Europäern der Holocaust möglich war. Ihr seid allesamt Barbaren!“

 

Ich versuchte sie zu beruhigen: „Es ist aber doch überhaupt nichts passiert. Niemand hat ein böses Wort verloren oder dich gar angegriffen. Vielleicht haben sie nur deinen Anblick genossen?“

 

Meine Freundin, die Amerikanerin, lächelte. Dann wandte sie sich ab und sprach zu sich selbst in den leeren Raum hinein: „Niemand wagt es, uns anzugreifen, nicht einmal, wenn wir nackt und schutzlos sind oder uns wie Vollidioten benehmen.“